Von Peter Bernet (2018)
Trommelwirbel und Sturmgeläute
Vor 100 Jahren
Aufwühlende Ereignisse vor hundert Jahren um den 11. November 1918. Landesstreik und verheerende Grippewelle.
Am Montagnachmittag, 11. November 1918, wurden in Grindelwald «mit Trommelwirbel, Feuerhorn und Sturmgeläute die Wehrpflichtigen zum sofortigen Einrücken aufgeboten. Zu nicht geringer Aufregung der hiesigen Bevölkerung», heisst es im «Echo von Grindelwald». Landesstreik!
Die Oberländer Bataillone 34, 35 und 36 musste zum Bewachungsdienst einrücken, aber fast alle Bahnen standen still! Die Aufgebotenen aus den Lütschinentälern, die meisten traditionsgemäss 36er, fuhren mit Zügen der BOB nach Interlaken. Die Angestellten der Berner Oberland-Bahnen nahmen am Streik nicht teil. Die Kommandanten formierten im Bödeli die Kompanien, und die Truppe marschierte daraufhin nach Thun. Die SBB streikten. Die Oberländer Soldaten wurden vorerst «in Thun auf Pikett gestellt».
Als Arzt 700 Kranke zu betreuen
Die Angehörigen in den Tälern machten sich mit Recht Sorgen um ihre Väter und Söhne. Sie waren aber froh zu hören, dass der beliebte Dorfarzt Doktor Scherz in der Kaserne Thun als Truppenarzt im Einsatz sei. Das nahm man mit Erleichterung zur Kenntnis. Er kannte die Leute und ihre Verhältnisse zuhause und nicht zuletzt auch die Duckmäuser und Simulanten unter ihnen. Hauptmann Scherz meldete nun im «Echo» vom 20. November 1918 aus Thun, das Bataillon 36 sei angekommen. Leider habe aber die Grippe wieder Einzug gehalten, «vor allem die Landstürmer seien schwer heimgenommen». Er habe als Arzt in der Kaserne Thun 700 Kranke zu betreuen, und man sei froh für freiwillige Hilfe. Die Oberländer Soldaten, wegen des Generalstreiks eingerückt, kehrten nach fast zwei Wochen Bewachungsdienst am 23. November 1918 wieder heim – und schleppten die Grippe im Grindelwaldtal ein, wie befürchtet. Die neu gegründet Sanitätskommission errichtete ein Notspital. 18 Erkrankte starben.
Für Internierte alles, für Schweizer Soldaten nichts
Unter den Grippetoten befand sich auch ein Internierter aus dem Hotel Adler. Etwa 50 Franzosen, meistens Offiziere, waren als angeblich «kurbedürftige Kriegsgefangene hospitalisiert» worden und brachten etwas Leben ins Dorf. Am Montagmorgen, 18. November 1918, haben mit dem ersten Zug nun sämtliche in Grindelwald stationierten französischen Internierten «von uns Abschied genommen», steht im «Echo» und weiter: «Bei einigen Frauen galt für die Internierten alles, für die Schweizer Soldaten nichts». In der Musikgesellschaft fehlten Musikanten, weil sie als Schweizer Soldaten an der Grenze standen. Dafür spielten nun internierte Franzosen in der Musikgesellschaft Grindelwald. «Vorzügliche Musiker», wie man schrieb, und am 30. November 1918 erschien im «Echo» sogar ein Abschiedsbrief «A nos internés Francais». Aus dem ganzen Berner Oberland verliessen im November 1918 gegen 500 Internierte unser Land.
Ein Sturm der Entrüstung über Grindelwald
Ein paar Wochen zuvor war es noch zu einem Zwischenfall gekommen, der nicht gerade zum guten Ruf des Kurortes beitrug. Die Gemeindebehörde weigerte sich, «grippeverseuchte» Landwehrsoldaten aus dem Unterland aufzunehmen. Es habe noch Grippe-Rekonvaleszenten in dieser auswärtigen Truppe, befürchtete man, und die Bevölkerung könnte angesteckt werden. Nun ergoss sich in der Schweizerpresse eine Welle der Entrüstung über die Gemeinde Grindelwald. Man beschimpfte in den Zeitungen die «Hinterwäldler» und Egoisten unter dem Eiger mangelnder eidgenössischer Solidarität. Der Gemeinderat wehrte sich darauf, man habe nur einen ärztlichen Bericht verlangt. Ein Foto zeigt, dass die Mitrailleure mit ihren Maschinengewehren oberhalb der Spillstatt in Grindelwald doch noch manipulieren konnten. Sie waren im Thorihaus untergebracht worden.
Requirierte Hotelbetten
Es war zuvor von der Gemeinde schon Einiges geleistet worden: Für an Grippe erkrankte Soldaten musste Grindelwald rund 300 Betten sowie Leintücher in den Jura senden. So im Juli 1918 unter der Leitung des Gemeindevizepräsidenten Emil Gsteiger und EW-Direktors Gottfried Reist. Vom Armeekriegskommissariat wurden in Hotels und Pensionen Betten, Matratzen und Wäsche requiriert. Im Dezember könnten die Besitzer dann im Hotel Bahnhof Rechnung stellen, meldete der Vorstand des Kur- und Verkehrsvereins – und glaubte wohl selber nicht recht daran.
Fast alles wird verboten
Im Herbst 1918 war der 34-jährige Hotelierssohn Hermann Kurzen gestorben. Er war in Grindelwald zur Schule gegangen und bekannt als «ein brillanter Ski- und Schlittschuhläufer», dazu während der Wintersaison in Caux tätig, wie seit Jahren andere Einheimische. Was dabei aufhorchen liess: Er starb an der Folge der Grippe. Seine Angehörigen erhielten nun umgehend ein Wirtshaus- und Kirchenverbot. Die Spanische Grippe, wie sie genannt wurde, breitete sich im Berner Oberland unaufhaltsam aus – wie schon längst in der ganzen Schweiz. Wegen der Seuchengefahr wurden im Kanton Bern schon bald alle Veranstaltungen, «die zur Ansammlung zahlreicher Personen am gleichen Orte oder im gleichen Raum» führen, verboten. Der Gemeinderat Grindelwald untersagte, wie im «Echo» vom 25. Oktober 1918 zu lesen ist, «den Gottesdienst, die Unterweisung und Kinderlehre, sowie öffentliche Beerdigungen und Versammlungen jeglicher Art». Der Beginn der Winterschule wurde abgesagt und auf den 2. Januar 1919 verschoben, noch «ohne Chorsingen», wie es heisst. Man zählte zuletzt, ohne die verstorbenen Soldaten, 28 Grippetote im Grindelwaldtal: ein trauriger Jahrhundertrekord. Die Zahlen aus den andern Tälern des Berner Oberlandes lauteten ähnlich. Im Kanton Bern zählte man 4700 Grippetote.
Ein Denkmal
Das Soldatendenkmal bei der Dorfkirche Spiez erinnert heute noch an im Aktivdienst 1914/18 Verstorbene. Dort liest man Namen von Wehrpflichtigen aus dem ganzen Oberland, alles Männer in bestem Alter, oft Familienväter.
Darunter befinden sich vier Soldaten aus Grindelwald:
Kp. III/ 36 Füsilier Michel Rudolf, geb. 1888,
Füsilier Balmer Peter, geb. 1888,
Füsilier Boss Albert, geb. 1884
und aus einer Bäcker-Kp. Soldat Nufer Ernst, geb. 1887.
Kirche und Friedhof Grindelwald in schwerer Zeit. 1918 zählte man 28 zivile Grippetote im Tal. Dazu kamen noch die im Militärdienst Verstorbenen.
Am 11. November 1918 wurden die Wehrmänner des Bataillons 36 aus den Lütschinentälern zum Bewachungsdienst nach Thun aufgeboten.
Erster Weltkrieg, monatelange Militärdienste an der Grenze, dann 1918 Ordnungsdienst im Landesstreik und zuletzt wütete noch die Spanische Grippe. Train-Gefreiter Fritz Egger, an der Spillstatt, an der Grenzbesetzung im Tessin, wie viele andere Grindelwalder.
Mitrailleure üben oberhalb der Spillstatt in Grindelwald. Zuerst nicht ganz ohne Widerstand. Der Gemeinderat befürchtete, sie könnten die Grippe aus dem Unterland nach Grindelwald bringen.
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